Ein Anscheinsbeweis bei Auffahrunfällen auf der Autobahn kommt grundsätzlich dann nicht in Betracht, wenn zwar feststeht, dass vor dem Auffahrunfall ein Spurwechsel stattgefunden hat, der Sachverhalt aber im Übrigen nicht aufgeklärt werden kann (BGH, Urteil vom 13.12.2011, VI ZR 17/10).
Der BGH musste über einen Auffahrunfall auf einer Autobahn entscheiden, bei dem ein Porsche auf der linken Spur fuhr und auf einen Daimler Benz auffuhr, der einen LKW überholen wollte. Unstreitig war, dass der Spurwechsel des Daimler Benz stattgefunden hatte. Streitig und allerdings auch nicht durch einen Sachverständigen aufgeklärt werden konnte, wie schnell der Porsche vor dem Aufprall gefahren war und wie lange vorher der Daimler Benz vor dem zu überholenden LKW den Spurwechsel vollzogen hatte.
Zwar setze die Anwendung des Anscheinsbeweises auch bei Verkehrsunfällen Geschehensabläufe voraus, bei denen sich nach der allgemeinen Lebenserfahrung der Schluss aufdrängt, dass ein Verkehrsteilnehmer seine Pflicht zur Beachtung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt verletzt hat. Allerdings muss es sich dann um Tatbestände handeln, für die nach der Lebenserfahrung eine schuldhafte Verursachung typisch ist. Der BGH betont allerdings, dass von einer solchen Typizität aber dann nicht gesprochen werden kann, wenn Umstände des Unfallereignisses bekannt sind, die als Besonderheiten gegen die bei derartigen Fallgestaltungen gegebene Typizität sprechen. Das reine „Kerngeschehen” an sich – hier der Auffahrunfall – reicht hierzu nicht aus.
Mangels vollständiger Aufklärbarkeit des gesamten Unfallgeschehens bestand für keine der Unfallparteien ein Anscheinsbeweis, weshalb der BGH aus revisionsrechtlicher Sicht die vorgenommene hälftige Schadensteilung des LG nicht zu beanstanden hatte.